Jesus war immer total bereit zu vergeben.
Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Übertretungen. Mk 11,25 LU84
Jesus war aber auch oft wütend über die Art und Weise, wie religiöse Führungskräfte schwache Menschen schikanierten. Prediger erwecken oft den absurden Eindruck, dass religiöses Mobbing etwas war, das vor 2000 Jahren geschah und die jüdischen Oberhäupter die Bösewichte waren. Das hat nichts mit den Predigern von heute zu tun. Wirklich?
Ich habe genug von Predigten gegen Unversöhnlichkeit oder Bitterkeit, weil so viele Prediger dadurch Missbrauch und Ungerechtigkeit verharmlosen. Sie beschuldigen die Opfer, wenn sie gegen Ungerechtigkeit protestieren. Das wird als sündhaften Ärger, Rachsucht und Unversöhnlichkeit verurteilt.
Ich habe gerade eine viel bessere Botschaft gelesen. Der Prediger ermutigt tatsächlich verletzte Christen, mit Gott über ihren Schmerz und ihre Empörung zu sprechen, genau wie in den Klagepsalmen.
So viele super-positive Prediger ignorieren die Klagepsalmen und die Klagelieder. Sie haben ihre Lieblingsstellen aus den positiven Glaubensschriften und es scheint mir fast so, als wollten sie spiritueller sein als der Heilige Geist, der die Klagepsalmen inspiriert hat. Nicht, dass sie alle arrogant wären, aber es gibt eine Art kollektive Blindheit, die oft von einem Prediger auf den anderen übertragen wird.
Nicht nur Frauen werden von Eltern, Arbeitgebern oder Kirchenführern schikaniert und herabgesetzt. Auch Männer schikanieren Männer. Hast du schon einmal in Tierdokumentationen gesehen, wie männliche Tiere um die Vorherrschaft kämpfen? Auch Frauen können manchmal Tyrannen sein. Jesus sagte, dass die Machthaber der Heiden über sie herrschen und sie als Wohltäter bejubelt werden ... Klingt das für dich nach manchen Kirchen?
Aber Jesus sagte, wir sollten anders sein. Viele Prediger predigen Vergebung, während sie gleichzeitig Traumata und Machtmissbrauch verharmlosen. Diese Art von Predigten ist sehr schädlich und oft Teil des Mobbingprozesses. Predigten über Unversöhnlichkeit artet oft in Schuldzuweisungen an die Opfer aus.
Jesus ist sehr mitfühlend gegenüber Opfern, und dies wird durch die Klagepsalmen bestätigt. Für viele Prediger mit einem sehr positiven Glauben sind diese „negativen“ Psalmen zwar im Buch enthalten, aber nicht Teil ihres Verständnisses oder ihrer Lehre.
Meine Empörung über Mobbing zeigt wahrscheinlich, dass ich den Schmerz immer noch spüre. Manche Menschen könnten behaupten, dass anhaltende Empörung ein Zeichen für sündige Unversöhnlichkeit ist, denn wenn du vergibst, vergisst du und das Problem existiert für dich nicht mehr. Ich glaube, das ist ein schwerwiegendes Missverständnis der Heiligen Schrift.
Als ich von Pastoren exkommuniziert wurde, war ich so traumatisiert, dass ich ein ganzes Jahr in einer psychiatrischen Station verbrachte. Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich nicht von Gott verdammt war, und ich vergab den Pastoren von Herzen. Diese Vergebung war Teil meines Heilungsprozesses, aber ich war immer noch gebrochen und benötigte starke Psychopharmaka.
Mit der Zeit lernte ich allmählich, mich nicht selbst zu verurteilen, aber ich wurde immer empörter über ungerechte autoritäre Kirchenführer im Allgemeinen. Fünfzig Jahre später bin ich immer noch ein militanter Gegner autoritärer Kirchenführung. Ich bin in guter Gesellschaft. Auch Jesus und Paulus waren empört.
Glaubst du, dass Jesus nicht vergeben konnte? Oder Paulus? Aber spürten sie nicht mehr den Schmerz der Ablehnung und des Mobbings? Waren sie nicht mehr empört, wenn sie sahen, wie religiöse Tyrannen schwächere Menschen, insbesondere schutzbedürftige Frauen, verletzten?
Wenn ich die Worte Jesu und die inspirierten Schriften des Paulus lese, sehe ich zwei scheinbar widersprüchliche Tendenzen nebeneinander: extreme Empörung über Ungerechtigkeit, insbesondere über Ungerechtigkeit durch Menschen, die behaupten, Gott zu repräsentieren.
Das andere auffällige Merkmal ist die extreme Betonung von Liebe, Barmherzigkeit, Gnade und Vergebung. Es ist schwer, christliche Schriftsteller und Prediger zu finden, die in der Lage sind, diese beiden Aspekte des Charakters Gottes in vollem Umfang zu erfassen.
In seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth tadelt Paulus die Christen dafür, dass sie sich autoritären Predigern unterwerfen.
Ihr nehmt es hin, wenn sie euch zu ihren Sklaven machen, euch alles wegnehmen, was ihr besitzt, und euch übervorteilen, wenn sie vornehm tun und euch ins Gesicht schlagen. 2. Kor 11,20 NLB